„Die kalte Progression“
In dieser Ausgabe möchte ich einmal davon absehen, Ihnen Tipps zum Steuersparen zu geben. In folgendem werde ich Ihnen ein Phänomen erläutern, das man „kalte Progression“ nennt.
Haben Sie nicht auch manchmal das Gefühl: Sie verdienen wesentlich mehr als vor zehn Jahren, die Steuersätze sind quasi gleich geblieben, aber trotzdem können Sie sich eher weniger leisten, als mehr?
Dieses Gefühl trügt Sie nicht, es ist vielmehr ein realer Effekt, welcher von jedem Steuerzahler, abhängig von seiner Einkommensentwicklung, zu verspüren ist.
Die Ursache dieses Steuereffektes liegt einerseits in der Progression des Steuertarifes und andererseits in der Inflation. Unter Progression im Einkommensteuertarif versteht man die überproportionale Mehrbelastung höherer Einkommen. D.h., niedrige Einkommen werden mit einem geringen Steuersatz versteuert, hohe Einkommen mit einem hohen Steuersatz. In Österreich reicht die Bandbreite der Steuersätze von Null Prozent bis 50 Prozent. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen:
- Ein Steuerpflichtiger mit einem Jahreseinkommen von 15.000,- Euro bezahlt ca. 1.900,- Euro Einkommensteuer. Ein Steuerpflichtiger mit dem 10-fachen Jahreseinkommen, also 150.000,- Euro bezahlt aber nicht das 10-fache, sondern 66.600,- Euro, also die 35-fache Einkommensteuer. Die Steuerlast bemisst sich somit im ausgeprägten Maß an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen. Derjenige, der mehr verdient, soll einen höheren Anteil seines Einkommens zur Deckung öffentlicher Ausgaben zur Verfügung stellen.
- Der zweite wesentliche Faktor der kalten Progression ist die Inflation. Der Wert des Geldes ist nicht stabil, manches wird billiger, vieles wird teurer. In der Regel verliert Geld aber laufend an Wert. Dieser Effekt wird als Inflation oder Teuerungsrate bezeichnet. Die Inflation wird ermittelt, indem monatlich der zu zahlende Betrag für eine festgelegte Menge an Waren und Dienstleistungen berechnet wird. Diese Menge an Waren und Dienstleistungen bezeichnet man als Warenkorb. Die Teuerungsraten werden dann in einem Index veröffentlicht, dem so genannten Verbraucherpreisindex (VPI).
Das Einkommen der meisten Steuerpflichtigen besteht – sei es selbständig oder unselbständig - aus Arbeits- bzw. Erwerbseinkommen. Da die Lebenshaltungskosten ständig steigen, erhalten die meisten Arbeitnehmer einen Teuerungsausgleich. Sofern der Markt es zulässt, erhöhen natürlich auch Unternehmer ihre Preise. Dieser Anstieg entspricht ungefähr der Inflationsrate. Wird also die Teuerung ausgeglichen, steigen Löhne und Unternehmergewinne Jahr für Jahr. Trotzdem ist das Realeinkommen nicht gestiegen, da sich Einkommenssteigung und Inflation ausgleichen.
Diese inflationsbedingte Zunahme des Einkommens kann über Jahre hinweg aber beträchtliche Ausmaße annehmen. So betrug die Teuerung seit dem Jahr 1989 ca. 48 Prozent (Quelle VPI 1986). Das heißt: wer 1989 700.000,00 Schilling pro Jahr verdient hat, kann sich heuer theoretisch dasselbe leisten, wenn er 1,036.000,00 Schilling oder 75.290,00 Euro verdient. Das Jahr 1989 ist nicht zufällig gewählt. Seit diesem gelten in Österreich dieselben Steuersätze, abgesehen von einigen kosmetischen Änderungen (z.B. Steuerreform ab 2005). Der Spitzensteuersatz von 50 Prozent beginnt damals wie heute bei einem Einkommen von 700.000,- Schilling, obwohl dieselbe Kaufkraft erst bei 1.036.000,- Schilling erreicht wäre.
Durch dieses Auseinanderklaffen von steigenden Nominaleinkommen und starrem Steuertarif kommt es zum Anstieg der Steuerbelastung jedes Einzelnen. Die höhere Steuerbelastung entsteht durch das Hineingleiten in höhere Progressionsstufen, allerdings bei gleich bleibender Kaufkraft.
Dadurch sinkt das tatsächlich zur Verfügung stehende Einkommen jedes Einzelnen, obwohl Preise und Löhne steigen. Diesen Effekt nennt man kalte Progression.
Es handelt sich hierbei um eine sehr elegante Art der Steuererhöhung, ohne an den Steuergesetzen etwas ändern zu müssen.
Es wäre ein leichtes, den Effekt der kalten Progression abzufedern, wie dies in anderen Staaten auch geschieht.
Offensichtlich fehlt in Österreich dazu der politische Wille, der Budgetdruck tut wohl sein übriges.
Mag. Thomas Mares
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